Prozessqualitäten meinen zum Beispiel Operationsdauer und Dauer des Spitalaufenthalts, ebenso klinische Indikatoren von Qualität wie Mortalität oder bei onkologischen Operationen die Rate an R0-Resektionen. Prozedurale Daten sind wichtig. Sie sind wichtig für eine Standardisierung der Therapie und die Qualitätssicherung. Sie beziehen sich aber nicht auf die Ergebnisse ärztlichen Handelns im Hinblick auf das Empfinden der Patient:innen und die erlebte funktionelle Qualität. Von den Patient:innen berichtete Ergebnisse lassen aber vermutlich im Quervergleich einen präzisen Rückschluss auf die chirurgische Qualität zu
Nicht zuletzt durch verbesserte Behandlungskonzepte und damit einhergehende Prognoseverbesserungen hat sich aber der Fokus von Patienten:innen in den letzten Jahren von ärztlich bewerteter Qualität auf die selbst empfundene (und bewertete) Lebensqualität verschoben.
Dabei treten neben dem Überleben das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden stärker in den Vordergrund. Ein Ausschuss der National Institutes of Health (NIH)/Food and Drug Administration (FDA) nennt mittlerweile die Kategorien von Gefühl, Funktion und Überleben («feeling, function and survivaI») als primäre patientenzentrierte Faktoren, die in allen klinischen Studien, die eine FDA-Zulassung anstreben, berücksichtigt werden müssen (FDA).
Der subjektive Faktor kommt ins Spiel
Um dem gerecht zu werden, wurden Patient:innenfragebögen (Patient-Reported Outcome, PRO) entwickelt, die die Empfindungen von Patient:innen skaliert erfassen und damit messbar und objektiv vergleichbar machen. Patient-reported outcome measures (PROMs) liefern Informationen zum Gesundheitszustand und zu den Auswirkungen einer Behandlung aus Sicht einer Patientin oder eines Patienten. Sie werden definiert als «jeder Bericht über den Gesundheitszustand eines Patienten, der direkt vom Patienten stammt, ohne Interpretation der Reaktion des Patienten durch einen Kliniker oder eine andere Person» (FDA).
Eine systematische Befragung der Patient:innen, wie sie selbst ihren Zustand vor, während und nach Abschluss einer Therapie wahrnehmen, kann uns Aufschluss über die Schwächen und Stärken einer Behandlung geben. Diese PROMs sollen aber die sogenannten Clinician-reported outcome measurements (CROMs), also unsere ärztliche Einschätzung eines Behandlungsergebnisses, nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Gut konzipierte PRO-Fragebögen sind valide, reliabel und «responsive» (Wells et al.); sie müssen also gültig, verlässlich und reaktionsfähig sein. «Responsive» Evaluationen sind in der Lage, Veränderungen im Laufe eines Zeitraums zu erkennen, selbst wenn diese Veränderungen gering sind. Ein grosser Vorteil gegenüber Prozessqualitäten und klinischen Indikatoren ist, dass diese Fragebögen nicht nur nach Abschluss einer Therapie, sondern entlang der gesamten Behandlung angewendet werden können.
Veränderungen der Lebensqualität feststellen
Individuelle PROMs, die während der Behandlung aufgezeichnet werden, können Veränderungen der Lebensqualität oder des Schweregrads von Symptomen bei Patient:innen frühzeitig erkennbar machen (Steinbeck et al).
Auf Systemebene reichen die verschiedenen Formen der Nutzung von PRO-Daten von der öffentlichen Berichterstattung bis hin zur Forschung in Medizin und Gesundheitsökonomie . Auf internationaler Ebene ist in den letzten Jahren eine zunehmende Nutzung von PROMs zu beobachten, die von Forschungsprojekten und Pilotprojekten bis hin zur Einführung von PROMs auf nationaler Ebene reicht, wie z. B. im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Dänemark.
In der Schweiz noch keine systematische Erfassung
Das Schweizer Gesundheitssystem ist eines der am besten entwickelten auf der Welt. Allerdings hat auch dieses den Mangel, dass die funktionellen Ergebnisse unseres Handelns nicht systematisch erfasst werden. Wenn Ergebnisse doch registriert werden, ist die Erfassung häufig nicht standardisiert und dadurch sind die Daten nicht vergleichbar.
Die Eidgenössische Qualitätskommission (EQK) hat vom Bundesrat im Rahmen des revidierten Gesetzes zur Stärkung der Qualität und Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung vom 1. April 2021 den Auftrag erhalten, eine «systematische Qualitätsmessung und -überwachung (Monitoring) auf nationaler Ebene» in die Wege zu leiten.
Die FMH hat 2018 eine Stellungnahme zu PROMs veröffentlicht, in der sie die Integration von PROMs in die Routineversorgung begrüsst. Nebst der patient:innenorientierten Behandlung wird hierbei auch die Möglichkeit der Effizienzbeurteilung verschiedener Behandlungsoptionen aus Patient:innensicht hervorgehoben. Die FMH macht aber auch darauf aufmerksam, dass eine Lösung zur Finanzierung noch gefunden werden muss.
Seit dem 1. Juli 2019 muss im Auftrag der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich (GD ZH) in den Listenspitälern die Indikations- und Ergebnisqualität bei Patient:innen mit Hüft- und Knieprothesen gemessen werden. Diese Entwicklung reflektiert die Grundsätze der Qualitätsstrategie der stationären Versorgung im Kanton Zürich 2017 bis 2022: Behandlungen sollen sich an der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Patient:innen orientieren und PROMs-Informationen sind in einem Qualitätswettbewerb zwischen Leistungserbringern zu berücksichtigen (Gesundheitsdirektion Kanton Zürich 2017).
Auch in Pubmed zeigt sich ein deutliches Übergewicht orthopädischer Publikationen hinsichtlich PROM, während die Viszeralchirurgie und andere Subdisziplinen noch nicht sehr aktiv zu sein scheinen.
Basel als Vorreiter
Ein weiteres Beispiel kantonaler Aktivitäten für PROMs gibt es in Basel-Stadt: Im Rahmen einer Vereinbarung zwischen dem Kanton und seinen Spitälern müssen PROMs von jedem Listenspital auf eigene Verantwortung (und Kosten) umgesetzt werden. Die Ergebnisse müssen dem Kanton berichtet werden (Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt). PRO-Daten dürfen nur mit validierten Methoden erhoben werden, die von der zuständigen kantonalen Abteilung zugelassen worden sind.
Das Universitätsspital Basel (USB) hat bisher 21 Standardsets für Behandlungsergebnisse in verschiedenen Indikationsgebieten eingeführt, insbesondere im Bereich Traumatologie/Orthopädie, Krebstherapie und chronische Krankheiten. Dabei handelt es sich um eine der prominentesten und umfassendsten PROMs-Initiativen eines Krankenhauses in Europa. Das USB orientiert sich nach eigenen Angaben im öffentlich einsehbaren Qualitätsbericht 2022 vor allem an internationalen Empfehlungen der ICHOM bei der Auswahl der Fragebogensets, hat aber auch eigene Fragebögen entwickelt in den Bereichen, wo noch keine vorlagen. Das Internationale Konsortium für die Messung von Gesundheitsergebnissen (International Consortium for Health Outcomes Measurement, ICHOM), eine unabhängige Non-Profit-Organisation, hat Standardsets zur Ergebnismessung, die validierte PROMs- und CROMs-Fragebögen umfassen, für bislang 28 Krankheitsbilder veröffentlicht. Diese werden von international besetzten Sachverständigengruppen und Patient:innenvertretern in den entsprechenden Bereichen entwickelt.
Aus chirurgischer Sicht sind wir damit aber bei einem weiteren Problem. Während es validierte PROM-Fragebögen bei internistischen Erkrankungen, zu onkologischer Behandlung und nach orthopädischen Operationen gibt, existieren in der abdominellen onkologischen Chirurgie keine validierten PROM-Fragenbögen für den unmittelbaren postoperativen Rahmen (Birgin et al). Wie bereits erwähnt, widerspiegeln Erfassungen zu Verweildauer und Komplikationsraten nicht die Komplexität des Genesungsprozesses aus der Perspektive der Patient:innen. Das Verständnis der Patient:innenperspektive ist aber entscheidend für die Bereitstellung einer hochwertigen patient:innenorientierten Versorgung.
Validierte postoperative PROM sind gefragt
Basch et al. konnten in einer randomisiert-kontrollierten Studie an onkologischen Patient:innen unter Chemotherapie zeigen, dass die regelmässige standardisierte und multidimensionale Erhebung von PROM zu einer früheren Intervention bei Problemen führt. In dieser Studie waren in der Folge nicht nur die Symptome verkürzt, sondern auch das Gesamtüberleben in der Interventionsgruppe mit der regelmässigen Erhebung von PROMs signifikant verlängert (Basch et al.). Insofern wäre die Entwicklung von validierten postoperativen PROM in unmittelbarem Interesse der Behandler:innen wie der Patient:innen.
Gleichzeitig ist die Entwicklung umfassender, aber nicht ermüdend langer, Fragebögen eine echte Herausforderung. Die derzeit vorhandenen eher generellen Lebensqualitätsfragebögen haben erhebliche Schwächen, den postoperativen Genesungsprozess insbesondere zum Beispiel abdomineller Beschwerden, abzubilden. Ein systematic review hat schon vor Jahren auf das Problem von PROM-Fragebögen für die unmittelbare postoperative Phase aufmerksam gemacht (Fiore et al.). Eine rezente Publikation beschreibt den Weg, PROM-Erhebungsbögen von Patient:innen nach abdominellen onkologischen Operationen zu erheben (Birgin).
Langzeit-PROM aus chirurgischer Sicht
Im eigenen Patient:innengut haben wir mit dem lokalen Institut für Epidemiologie validierte Fragebögen zur Erhebung von Lebensqualität und funktioneller Qualität auf der Grundlage von ICHOM-Standardsets kombiniert und erheben nun bei allen Patient:innen mit kolorektalen Karzinomen diese vor der Therapie (neoadjuvante Therapie und oder ausschliesslich Operation ) und in regelmässigen Abständen nach der Operation. Ohne 18 Monate nach der Implementierung dieser Routine erste Ergebnisse melden zu können, kann vermerkt werden, dass die Rezeption durch die Patient:innen und der Rücklauf der Fragebögen überaus erfreulich sind.
Die hier vorliegende Arbeit orientiert sich an:
- Steinbeck V, Ernst SC, Pross C. Patient-Reported Outcome Measures (PROMs): ein internationaler Vergleich – Herausforderungen und Erfolgsstrategien für die Umsetzung von PROMs in Deutschland der Bertelsmann Stiftung; doi: 10.1200/JCO.2015.63.0830
- Basch E et al. Symptom Monitoring With Patient-Reported Outcomes During Routine Cancer Treatment: A Randomized Controlled Trial. J Clin Oncol 2016: 34:557-565.
- Birgin E, Müller M, Woll C, et al., Development of a conceptual framework to detect perioperative symptom burden following abdominal surgery for cancer, European Journal of Surgical Oncology, https://doi.org/10.1016/j.ejso.2023.05.00
- Fiore JF, Figueiredo S, Balvardi S, et al. How do we value postoperative recovery? A systematic review of the measurement properties of Patient-reported outcome after major abdominal surgery. Ann Surg 2018; 267: 656-669
- Zentralvorstand der FMH – PROMS fördern die patientenorientierte Behandlung; www.saez.ch 2018;99(40):1352–1353
- Grundlagenpapier der DDQ/SAQM: Hostettler S, Kraft E, Bosshard C. Patient-reported outcome measures: die Patientensicht zählt; www.saez.ch 2018; 99(40):1348–1351
- Qualitätsbericht 2022 Universitätsspital Basel USB; Freigabe 30.05.2023, Version 1
- Wells GA, Russell AS, Haraoui B, et al. Validity of Quality of Life Measurement Tools – From generic to Disease-specific. The Journal of Rheumatology Supplement 2011;38 Suppl 88; doi:10.3899/jrheum.110906