Als weltweit einer der ersten Chirurgen hat Eugen Bircher am Kantonsspital Aarau (KSA) in den 1920er-Jahren Gelenkspiegelungen an Patienten durchgeführt – er erhoffte sich damit, Meniskusläsionen besser erkennen zu können(1). Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer rasanten Weiterentwicklung der chirurgischen Instrumente und im Jahr 1957 veröffentlichte Watanabe den ersten Atlas der Arthroskopie(2). Heutzutage ist die Arthroskopie ein Grundwerkzeug eines jeden Operateurs am Bewegungsapparat und gerade an den grossen Gelenken können wir auf sie wegen der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten kaum mehr verzichten. Auch das Handgelenk konnte in den letzten Jahrzenten von den vielen Errungenschaften der arthroskopischen Techniken profitieren(3). Nachdem sich diese zum Goldstandard in der Diagnostik von TFCC (triangulärer fibrokartilaginärer Komplex) -Verletzungen etabliert haben, konnte bereits in den 1990er-Jahren der Wert der Handgelenks-Arthroskopie in der Versorgung von distalen Radiusfrakturen aufgezeigt werden(4,5). In Europa wurden die operativen Techniken am Handgelenk weiterentwickelt und 2007 beschrieb del Piñal die trockene Arthroskopie in der Behandlung von distalen Radiusfrakturen(6,7).
Die chirurgische Behandlung von intraartikulären Radiusfrakturen kann trotz den jüngsten Weiterentwicklungen von palmaren Implantaten eine Herausforderung darstellen. Die intraoperative Abbildung der radialen Gelenksfläche suggeriert mit dem Bildwandler kleinere Stufen und Dehiszenzen im Vergleich zur Objektivierung mittels Arthroskopie(8). Zudem können mehrfragmentäre intraartikuläre Frakturen häufig nicht anatomisch mittels Ligamentotaxis reponiert werden. Lose Zwischenfragmente oder sogenannte «die punch»-Fragmente werden zudem unter dem Bildwandler intraoperativ nicht genügend abgegrenzt. Überdies bedingt die mittlerweile als Standard etablierte früh-funktionelle Nachbehandlung nach Plattenosteosynthese, dass relevante Begleitverletzungen wie scapholunäre (SL)-Bandläsionen entsprechend früh und verlässlich diagnostiziert und behandelt werden(9,10).
Am KSA hat sich ein interdisziplinäres Konzept zur arthroskopisch-assistierten Behandlung von Radiusfrakturen zwischen den Disziplinen Traumatologie/Orthopädie und Handchirurgie bewährt. Von unseren ersten positiven Erfahrungen möchten wir in diesem Artikel berichten, Beispiele präsentieren und die aktuelle Literatur aufzeigen.
Konzept
Die Klinik für Orthopädie und Traumatologie am KSA hat im Mittelland eine Zentrumsfunktion inne als eine von schweizweit zwölf HSM-Kliniken mit jährlich knapp 300 Polytraumapatient:innen. Gelenkspezifische Teams und ein Team für Traumatologie behandeln wie in den meisten Schweizer Spitälern ein breites akutes und elektives Spektrum. Die Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie ist in zwei Fachbereiche aufgeteilt. In beiden Disziplinen wird bis auf die HSM-Verbrennungschirurgie das jeweilige komplette Spektrum des Fachgebietes abgedeckt.
Zur Reduktion sekundärer Dislokationen und Malunionen sowie zur einzeitigen Therapie von Begleitverletzungen wurde ein interdisziplinäres Konzept für die gemeinsame Versorgung der Radiusfrakturen erarbeitet. Die einfachen, extraartikulären Radiusfrakturen werden primär durch die Traumatologie/Orthopädie abgedeckt und bei entsprechenden Begleitverletzungen wird die Handchirurgie hinzugezogen. Intraartikuläre Frakturen werden nach der obligaten CT-Diagnostik im interdisziplinären Ansatz beurteilt mit Festlegung des operativen Vorgehens. Eine CT-basierte Klassifikation anhand der Schlüsselfragmente hat sich als nützlich erwiesen, um die Versorgung zu planen(11). Bei Indikation zur Operation bedingt dies, dass sowohl planbare OP-Kapazitäten wie auch jeweils ein erfahrener Kaderarzt beider Kliniken zur Verfügung stehen.
Eine Übersicht zu distalen Radiusfrakturen, welche von einer arthroskopisch-assistierten Versorgung profitieren können, wurde in einer Arbeit aus Innsbruck publiziert(12). Anbei eine von uns adaptierte Übersicht über die aktuellen Indikationen:
Intraartikuläre Frakturen | TFCC-Verletzung | SL- oder LT-Bandverletzung |
---|---|---|
impaktierte zentrale sog. "die punch"-Fragmente
| instabiles DRUG nach der Osteosynthese
| sagittale Frakturlinie auf Höhe des SL-Intervalls (Chauffeur-Typ)
|
sagittale oder koronale Frakturlinien mit grösseren Fragmenten
| Typ Galeazzi mit Verlust der radialen Höhe (> 6 mm)
| pathologisches SL-Intervall bei intraoperativer Durchleuchtung
|
Inkongruenz der Sigmoid Notch | radiologische Prädiktion für eine DRUG-Instabilität:
| "Lesser-Arc"-Verletzungen |
Fallbeispiele
Erster Fall
Knapp 40-jähriger Patient mit einer intraartikulären Fraktur mit grossem Fragment des Processus styloideus radii (#) und einem «die punch»-Fragment (*) in der Fossa lunata (Abb. 1A und 1B). Nach Reposition konnten eine artikuläre Kongruenz der ulnaren Säule bzw. der Sigmoid Notch anhand einer arthroskopischen Beurteilung bestätigt werden (Abb. 1C). Durch das periphere Avulsionsfragment des Processus styloideus ulnae wurde keine Instabilität des DRUG erwartet. Jedoch zeigte sich eine kleine zentrale TFCC-Läsion (Typ 1A nach Palmer). Nach knöcherner Konsolidierung der Fraktur (Abb. 1D) konnte bei persistenten ulnaren Schmerzen eine therapeutische Infiltration des TFCC erfolgreich durchgeführt werden.
Zweiter Fall
68 Jahre alter Patient mit einer palmaren Luxationsfraktur und primärer Anlage eines Fixateurs externe (Abb. 2A und 2B). In den sagittalen Schnittbildern zeigen sich ein «die punch»-Fragment (*) und ein palmares Schlüsselfragment (+). Es erfolgte die palmare Plattenosteosynthese mit Fixation an den Schaft und provisorischer Fixation der ulnaren Säule. Eine anschliessende Arthroskopie erlaubte, das Zwischenfragment (*) (Abb. 2C) mittels Tasthaken zu reponieren und durch eine definitive Fixation der ulnaren Säule eine kongruente Gelenksfläche wiederherzustellen mit dem palmaren Fragment (+) und der intakten dorsalen Gelenksfläche. Fixation der radialen Säule unter arthroskopischer Sicht. Abschliessend wurde das kleine Fragment des Processus styloideus radii aufgrund der geringen Grösse mit einer zusätzlichen CCS-Schraube fixiert (Abb. 2D).
Diskussion
Die arthroskopisch-assistierte Versorgung von intraartikulären Radiusfrakturen hat sich am KSA als interdisziplinäre Operation mit verschiedenen Vorteilen etabliert. Intraoperativ können relevante Stufen und Dehiszenzen genau mit dem Tasthaken quantifiziert, reponiert und unter Sicht fixiert werden. Vormalige postoperative CT-Kontrollen bei komplexen Verletzungen oder fraglicher intraartikulärer Schraubenlage müssen bei arthroskopisch versorgter Fraktur nicht mehr durchgeführt werden. Palpatorisch können mit dem Tasthaken die Fragmentfixation überprüft und Begleitverletzungen des SL- und LT-Bandes diagnostiziert und bei Bedarf im gleichen Eingriff behandelt werden. Zudem haben sich die Überprüfung der Kongruenz der Sigmoid Notch und die Beurteilung und Behandlung von TFCC-Verletzungen in unseren Augen bewährt. Auch im Hinblick auf die residuellen ulnarseitigen Beschwerden im Verlauf der Nachbehandlung konnten wir bei entsprechender Diagnose (siehe Fall 1) den Patient:innen gezielt behandeln.
Trotzdem muss hier auf die Empfehlungen der AAOS/ASSH hingewiesen werden, welche eine «moderate» Evidenz aufführt, dass eine zusätzliche Arthroskopie keinen Nutzen bringt in der Versorgung von distalen Radiusfrakturen(13). Eine der wenigen verfügbaren randomisiert-kontrollierten Studien konnte keinen Unterschied zwischen einer arthroskopisch-assistierten und einer BV-assistierten palmaren Plattenosteosynthese im Verlauf nachweisen(14). Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2022 konnte bezüglich der postoperativen Gelenksstufe eine Signifikanz zugunsten der palmaren Plattenosteosynthese mit Unterstützung einer Arthroskopie aufweisen(15). Weitere Studien sind gemäss aktueller Literatur sicherlich nötig, um die Vor- und Nachteile einer arthroskopisch-assistierten Frakturversorgung zu untersuchen.
Bezüglich Begleitverletzungen zeigt eine systematische Übersichtsarbeit, dass Verletzungen des SL-Bandes in 41 % der Fälle nachgewiesen werden konnten, davon 76 % Geissler Grad I oder II und 24 % Geissler Grad III oder IV(16). Hier zeigt sich in der aktuellen Literatur, dass durch die Arthroskopie behandlungsbedürftige Verletzungen früher diagnostiziert werden können, jedoch bleibt unklar, ab welchem Stadium diese behandelt werden müssen. Eine Studie aus 2015 konnte im Langzeitverlauf keinen Unterschied nachweisen zwischen unbehandelten Grad I/II und Grad III SL-Bandverletzungen, wobei SL-Grad IV nicht untersucht wurde(17). Eine aktuelle Publikation von Arnaout und Mathoulin empfiehlt bei Grad I und II-Verletzungen eine einfache Immobilisation nach einer Plattenosteosynthese, für Grad IV bzw. in der EWAS Subklassifikation IIIC die chirurgische Behandlung(10). In der oben genannten Übersichtsarbeit konnten ebenfalls in 48 % der Fälle TFCC-Verletzungen nachgewiesen werden, am häufigsten zentrale und ulnare Läsionen. Neben der obligaten Stabilitätsprüfung des distalen Radioulnargelenkes nach Stabilisation einer Radiusfraktur erfolgt die Behandlung entsprechend der Klassifikation von TFCC-Verletzungen(9). Hier sind weitere Studien notwendig, um mehr Evidenz zu schaffen, welche Verletzungen direkt behandelt werden sollten.
In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer deutlichen Zunahme der operativen Versorgung von distalen Radiusfrakturen. Eine aktuelle Studie aus Dänemark beschreibt bei alternder Bevölkerung, ähnlich wie in der Schweiz, eine Zunahme der Inzidenz von distalen Radiusfrakturen von 20 %(18). Gleichzeitig konnte eine Zunahme des Anteiles operativ versorgter Radiusfrakturen von 8 % (1997) auf 24 % (2018) aufgezeigt werden, wobei sich diese Werte in den Altersgruppen 18–64 und 65+ Jahre im gesamten Studienzeitraum überraschenderweise nicht unterschieden. Im Gegensatz dazu zeigte eine Meta-Analyse von randomisierten Studien aus dem Jahr 2023, dass ältere Patienten (> 80 Jahre) keine signifikante klinische Verbesserung erwarten können bei chirurgischer Versorgung von intraartikulären Frakturen(19). Abschliessend muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass in den aktuellen Guidelines eine ungenügende Studienlage für die operative Fixation bei nicht-geriatrischen Patienten festgehalten wir(13). Eine kritische Beurteilung der viel zitierten Publikation aus dem Jahre 1986 von J. Jupiter zeigt überdies, dass bezüglich Langzeitverlauf nach intraartikulären Radiusfrakturen weiterhin nur limitierte Evidenz vorhanden ist(20).
Die Grenzen der palmaren arthroskopisch-assistierten Plattenosteosynthese von distalen Radiusfrakturen sind typischerweise Frakturtypen mit kleinen oder mehrfragmentären dorsalen Schlüsselfragmenten sowie massiven Impressionen/Defektzonen(11). Wenn diese Fragmente ungenügend von palmar fixiert werden können, hat sich eine (zusätzliche) dorsale Plattenosteosynthese als sichere und einfache Methode bewährt(21). Durch die Möglichkeit der dorsalen Arthrotomie können komplexere Frakturen unter Sicht anatomisch reponiert und die Gelenksfläche unterfüttert und abgestützt werden.
Obwohl die Empfehlung zur arthroskopisch-assistierten Versorgung von distalen Radiusfrakturen bisher keinen Level-1-Evidenzgrad aufzeigen konnte, überwiegen aus unserer Sicht die Vorteile dieser komplikationsarmen Technik. Der organisatorische Aufwand zur Planung des Eingriffs und die zusätzliche Operationsdauer von 20–30 Minuten für die Arthroskopie sind Nachteile, welche wir in Kauf nehmen. Durch fundierte Kenntnis der aktuellen Literatur und das Beherrschen verschiedener Operationstechniken kann den einzelnen Patient:innen die bestmögliche Behandlung angeboten werden(9). Zudem ist die Arthroskopie weiterhin der Goldstandard zur Diagnose von begleitenden Weichteilverletzungen. SL- und LT-Bandverletzungen sowie TFCC-Verletzungen können damit frühzeitig diagnostiziert und bei entsprechender Indikation mitbehandelt werden.
Interessenskonflikt
Alle Autoren haben keine Interessenskonflikte vorzuweisen.
- Bircher, E. Die Arthroendoskopie. Zentralbl Chir. 1921;(48):1460–1.
- Watanabe M. Atlas of Arthroscopy. 1957.
- Bain GI, Baker A, Whipple TL, Poehling GG, Mathoulin C, Ho PC. History of Wrist Arthroscopy. J Wrist Surg. 2022 Apr 25;11(2):96–119.
- Whipple TL. The basics of wrist arthroscopy. Phila JB Lippincott. 1992;7–9.
- Culp RW, Osterman AL. Arthroscopic reduction and internal fixation of distal radius fractures. Orthop Clin North Am. 1995 Oct;26(4):739–48.
- Mathoulin C, Sbihi A, Panciera P. Intérêt de l’arthroscopie du poignet dans le traitement des fractures articulaires du 1/4 inférieur du radius : à propos de 27 cas. Chir Main. 2001 Jan 1;20(5):342–50.
- del Piñal F, García-Bernal FJ, Pisani D, Regalado J, Ayala H, Studer A. Dry arthroscopy of the wrist: surgical technique. The Journal of Hand Surgery. 2007 Jan;32(1):119–23
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