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Positionspapier Weiterbildungsqualität statt Arbeitszeit

Der Verband der Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) fordert die Einführung der 42+4-Stunden-Woche mit 42 Stunden Dienstleistung und vier Stunden strukturierter Weiterbildung als wöchentliche Sollarbeitszeit. 

Diese Forderung scheint sich in absehbarer Zeit durchzusetzen, sodass wir auf diese anstehenden Veränderungen adäquat reagieren müssen. Das Forum Junge Chirurgie ist davon überzeugt, dass mit einem strukturierten Weiterbildungskonzept und optimierten Tagesabläufen die Arbeitszeit effizienter genutzt werden kann. So könnte die Qualität der chirurgischen Ausbildung und der Patientenversorgung auch bei einer Reduktion der Sollarbeitszeit aufrechterhalten werden.

Im Verlauf der letzten 20 Jahre hat die Zahl der Assistenz- und Oberärzt:innen um den Faktor 1,5 zugenommen. Auch die Zahl der Patient:innenfälle ist gestiegen – im Vergleich jedoch unterproportional. Der medizinische Fortschritt mit erweiterten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sowie die Komplexität der Patient:innen tragen sicherlich zur Mehrbelastung bei. Es zeigt sich jedoch auch eine drastische Zunahme der administrativen Tätigkeiten, welche rund ein Drittel der Arbeitszeit der Assistenzärzt:innen einnimmt. Die Dokumentation und die leider oft ineffizienten bürokratischen Abläufe reduzieren die Zeit für die klinische Tätigkeit an den Patient:innen und führen meist zu vielen Überstunden. Das Resultat ist eine spürbare Unzufriedenheit der grundsätzlich sehr engagierten und wissensbegeisterten angehenden Chirurg:innen mit ihrer Berufswahl und bei manchen sogar der Berufsausstieg. 

In diesem Positionspapier möchten wir insbesondere auf zwei Lösungsansätze eingehen, die eine erfolgreiche und qualitativ hochwertige chirurgische Ausbildung ermöglichen können: Zum einen ein strukturiertes Weiterbildungsprogramm, zum anderen die Reduktion administrativer Tätigkeiten. Ausserdem möchten wir noch einmal erläutern, was eine strukturierte Weiterbildung ist. Abschliessend noch einige Gedanken zur «flexiblen» Arbeitszeitregelung.  

Administrative Tätigkeiten

Oberstes Ziel sollte es sein, Arbeitsabläufe zu verschlanken und rein administrative Tätigkeiten zu delegieren. Als Möglichkeiten hierfür sehen wir folgende Aspekte:

Einführung von klinischen Fachkräften (Physician Assistants; PAs), die die Bettenstation betreuen. Da diese nicht im OP oder in der Sprechstunde tätig sind und keine Dienste übernehmen, kann eine Kontinuität in der Patient:innenbetreuung und über den Tages- und Wochenverlauf erreicht werden. Es ist jedoch zu beachten, dass die Stationsarbeit mit der Beobachtung und dem Management klinischer Verläufe für die chirurgische Ausbildung wesentlich ist. Aus diesem Grund sehen wir den Einsatz von PAs insbesondere als Unterstützung für fortgeschrittene Assistenzärzt:innen, die zunehmend im OP und in der Sprechstunde eingesetzt werden, und nicht als Ersatz für Assistenzärzt:innen am Beginn ihrer Ausbildung (1./2. Jahr), die die Station primär selbst betreuen sollten. Einen reinen Ersatz von Assistenzärzt:innen durch PAs sehen wir nicht als sinnvoll an, da die klinische Beurteilung und Interpretation der Zusammenhänge einen fundierten medizinischen Hintergrund erfordert.

Einführung von Stationssekretär:innen, welche standardisierte Austrittsberichte und OP-Berichte vorbereiten, die bei Bedarf nur noch angepasst werden müssen. Diese können auch mit auf Visite gehen und parallel die Dokumentation, Anordnungen sowie Anmeldungen erledigen. So kann ein Grossteil der Dokumentation bereits während der Visite erledigt werden und muss nicht nachbearbeitet werden.

Evaluierung von Fachärzt:innen/Assistenzärzt:innen z.B. der Inneren Medizin als Stationsärzt:innen oder Spitalfachärzt:innen, die die Patient:innen mit ihren Komorbiditäten ganzheitlich betreuen und gleichzeitig einen Einblick in das chirurgische Fach und die postoperativen Verläufe erhalten können, z.B. im Rahmen des Hausarztcurriculums. Erfahrenere chirurgische Assistenzärzt:innen können somit zunehmend von der Stationsarbeit gelöst und weniger erfahrene durch die Zusammenarbeit in ihrer eigenen medizinischen Weiterentwicklung gefördert werden.

Implementierung von effizienten Krankenhausinformationssystemen, die mit anderen Spitälern kompatibel sind, sodass bereits bestehende Diagnosen-/Medikationslisten übernommen werden können. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, Verordnungspakete zu erstellen und die Daten so zu verknüpfen, dass zeitaufwendiges «Copy-Paste» und Formatieren entfällt. Auch zukünftige Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz sollten im Gesundheitswesen Einzug halten, um die Effizienz zu steigern, unter Beachtung der Datenschutzreglements. Dies kommt sowohl der Arbeitseffizienz als auch der Patientensicherheit zugute.

Strukturiertes Weiterbildungsprogramm

Unabhängig von der «strukturierten Weiterbildung» sehen wir die Zukunft der chirurgischen Facharztausbildung in einem strukturierten, gestuften Ausbildungsmodell. Im aktuellen System fühlen sich engagierte und wissbegierige Assistenzärzt:innen oft verloren und wissen nicht, wo sie mit ihrer Ausbildung stehen und was von ihnen gefordert wird, um in ihrer Weiterbildung voranzukommen. Die spezifische Förderung von gewissen Assistenzärzt:innen gegenüber anderen erscheint teilweise willkürlich, was motivierte angehende Chirurg:innen demotivieren kann. Ein strukturiertes und einheitliches Weiterbildungscurriculum mit Aufgaben- und Lernzielverteilung auf die verschiedenen Ausbildungsstufen bringt mehr Objektivität in unser System, was den Auszubildenden hilft, ihre Ziele im Auge zu behalten und es auch den Weiterbildnern ermöglicht, die Fähigkeiten der Assistenzärzt:innen besser einzuschätzen und sie entsprechend zu fördern.

Das Core Surgical Curriculum setzt diese Vision bereits mit einer chirurgischen Grundausbildung in den ersten zwei Jahren um. Dieses national standardisierte Curriculum hat den Vorteil, dass von allen Absolvent:innen zumindest ein Minimum an geforderten Lernzielen erwartet werden kann und an einer allfälligen Anschlussstelle darauf aufgebaut werden kann. Ein national einheitliches Curriculum über die gesamte Dauer der Facharztausbildung dürfte aufgrund der unterschiedlichen Leistungsangebote nicht sinnvoll umsetzbar sein. Der Zusammenschluss von Spitälern zu Ausbildungsnetzwerken und die Entwicklung eines realistischen Curriculums innerhalb dieses Netzwerkes wäre jedoch ein sinnvoller Ansatz, um nicht nur die Zentrumsspitäler, sondern auch die Regionalspitäler als Arbeitgeber:innen und Ausbildungsstätten in ihrer Attraktivität zu stärken.

Jede Weiterbildungsstätte muss die Anzahl der Weiterbildungskandidat:innen dem SIWF deklarieren. Die Anzahl Assistenzärzt:innen, die für die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes 24/7 benötigt werden, ist aber weit höher als die Anzahl Weiterbildungskandidat:innen, die in Anbetracht der Fallzahlen effizient ausgebildet werden können. Als mögliche Massnahme könnten Assistenzärzt:innen nach Abschluss des Core Surgical Curriculums als spezifische Weiterbildungskandidat:innen in ein Weiterbildungsnetzwerk aufgenommen und in dem deklarierten Curriculum gefördert werden. Diese Facharztanwärter:innen hätten somit die Sicherheit, dass sie ihre Weiterbildung innerhalb von sechs Jahren erfolgreich absolvieren können, sofern sie sich entsprechend bemühen und beweisen. Die verbleibenden Stellenprozente, die insbesondere für die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes auf den Stationen und in den Notfallabteilungen essenziell sind, würden mit Kandidat:innen im Core Surgical Curriculum, allenfalls PAs sowie fachfremden und auch chirurgisch interessierten Assistenzärzt:innen ohne spezifischen Weiterbildungsvertrag besetzt. Den Assistenzärzt:innen ohne Weiterbildungsvertrag wäre somit klar, wie ihre Chancen um eine chirurgische Ausbildung stehen, ohne dass ihnen falsche Hoffnungen gemacht werden. Sollte der Wunsch nach einem chirurgischen Facharzttitel weiterhin bestehen, sollte einer erneuten Bewerbung bei Freiwerden einer Weiterbildungsstelle im gleichen oder einem anderen Weiterbildungsverbund nichts im Wege stehen. Mit der Selektion und Definition der Weiterbildungskandidat:innen erhoffen wir uns eine qualitativ bessere und effizientere Ausbildung in den sechs Jahren Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Chirurgie.

Strukturierte Weiterbildung

Das SIWF verlangt, dass alle Weiterbildungsstätten wöchentlich vier Stunden strukturierte Weiterbildung für Weiterzubildende anbieten. Die Motion des VSAO ändert daran nichts. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass vielen Akteuren im System nicht klar ist, was genau zur strukturierten Weiterbildung gehört. Das SIWF stellt dazu ein Merkblatt zur Verfügung (https://www.siwf.ch/files/pdf18/strukt_wb_d.pdf), dessen wichtigste Punkte im Folgenden kurz erläutert werden:

Weiterbildung im klinischen Alltag kann als strukturierte Weiterbildung gelten, sofern eine Lehrperson anwesend ist und die Aktivität eine Vorbereitung, Durchführung und Nachbesprechung beinhaltet und sich damit vom «learning on the job» unterscheidet. Interdisziplinäre Kolloquien, Vorträge, Fallbesprechungen und insbesondere instruierte Operationen können als solche angerechnet werden, sofern eine Nachbesprechung stattfindet.

Wenn immer möglich, sollten vier Stunden strukturierte Weiterbildung wöchentlich angeboten werden und während der Arbeitszeit stattfinden. Sie gelten damit auch als Pflichtveranstaltung für die Auszubildenden.

Um den Aufwand für die Organisation der strukturierten Weiterbildung zu reduzieren, kann es sinnvoll sein, dass sich Weiterbildungsstätten zu einem Verbund zusammenschliessen.

Wir empfehlen, dass jede Weiterbildungsstätte die vom SIWF vorgegebene strukturierte Weiterbildung auf die bereits vorhandenen Weiterbildungen überprüft bzw. optimiert. Anschliessend sollte eine offene Kommunikation an das Team erfolgen, sodass das Angebot der strukturierten Weiterbildung für beteiligte Assistenzärzt:innen sowie auch Kaderärzt:innen offensichtlich ist. Die Durchführung einer strukturierten Nachbesprechung von Tätigkeiten im klinischen Alltag sowie die Dokumentation der erfolgten strukturierten Fortbildung kann durch den Einsatz von «entrustable professional activities» – kurz EPAs – unterstützt und vereinfacht werden. 

Arbeitszeitregelung

Der Arbeitsanfall ist bekanntlich variabel und die tägliche Arbeitsbelastung daher nicht exakt planbar. Starre Tagesabläufe mit fixen Rapportzeiten können den Arbeitsfluss behindern und z.B. den Ausgleich von Überstunden bei geringer Auslastung verhindern. Eine Planung am gesetzlichen Arbeitszeitmaximum von 50 Stunden / Woche führt erfahrungsgemäss regelmässig zu einer Überschreitung dieser Grenze (= Überzeit), was nicht nur einen Verstoss gegen das Arbeitsgesetz (max. 140 Stunden Überzeit pro Jahr), sondern auch eine Überbelastung der Assistenzärzt:innen zur Folge haben kann.

Mit Einführung einer durchschnittlichen Sollarbeitszeit von 42 + 4 Stunden / Woche wird ein Puffer von vier Stunden zur gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden / Woche geschaffen. Die Assistenzärzt:innen arbeiten somit nicht direkt an der gesetzlichen «Limite», sodass allfällige Überstunden nicht direkt zu Überzeit führen. Dies würde helfen, Belastungsspitzen für die Assistenzärzt:innen abzufedern und das Risiko, gegen das Arbeitszeitgesetz zu verstossen, reduzieren. Die Reduzierung der Sollarbeitszeit von 50 auf 46 Stunden/Woche bei gleichzeitiger Beibehaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden/Woche gibt sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer mehr Flexibilität bei der Bewältigung des schwankenden Arbeitsanfalls.

Fazit

Eine 42+4h-Woche würde zu grossen Veränderungen im Arbeits- und Weiterbildungsalltag führen und wir Chirurg:innen müssen hierfür entsprechend gewappnet sein. Ohne Anpassung der Arbeitsabläufe müsste hierfür mehr Personal eingestellt werden, was nicht nur die ohnehin kritische finanzielle Situation der Spitäler zusätzlich belastet, sondern auch die Qualität der Ausbildung beeinträchtigt. Eine Reduktion der Sollarbeitszeit wird von einer Vielzahl der angehenden Chirurg:innen unterstützt/gefordert. Hintergrund dieser Forderung ist vor allem die Frustration über das derzeitige System mit überbordenden administrativen Tätigkeiten und ohne Perspektive auf eine strukturierte Ausbildung. Das Forum Junge Chirurgie möchte mit diesem Positionspapier Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, die bei überregionaler Umsetzung kostenneutral sein könnten. Bei der gesamten Diskussion sollte die Qualität der Weiterbildung im Vordergrund stehen und nicht die Quantität der Arbeitszeit. Bei einer Optimierung der Arbeitsinhalte mit Fokus auf die ärztlichen Tätigkeiten könnte statt einer 42 + 4-Stundenwoche sogar eine 42 + 8-Stundenwoche zugunsten einer qualitativ hochwertigen Ausbildung erzielbar sein.

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