Mein Wissen über die schneidende Zunft beschränkte sich lange Zeit auf eine Operation, welche ein rauschebärtiger Chirurg im österreichischen Landeck, der sich damit brüstete, mit Reinhold Messner Achttausender bezwungen zu haben, an meiner durch eine ungute Kollision auf der Skipiste demolierten Schulter vornahm. Ich erweiterte meinen Wortschatz um den Begriff Luxation, freute mich, dass meine Schulter nach ein paar Monaten ihren Dienst wieder tadellos verrichtete und behielt die Chirurgen in folgender Erinnerung: wortkarg, schwer verständlich (nicht nur wegen des Tiroler Dialektes des Operateurs, sondern wegen der vielen Fachbegriffe), aber auf wundersame Art sehr hilfreich.
20 Jahre später erhielt ich den Auftrag, mit Markus Zuber und René Vonlanthen zusammen eine Zeitschrift von und für Chirurgen aufzubauen. So etwas hatte ich schon oft gemacht – nur nicht mit Chirurgen. Es wiederholte sich für mich anfangs der in Landeck gewonnene Eindruck: wortkarg und schwer verständlich, manchmal auch wunderlich. Offensichtlich musste ich erst noch einiges lernen.
Lektion 1: Hierarchien sind neu zu definieren: Ärzte sind die Herren der Schöpfung. Chirurgen sind die Herren der Herren der Schöpfung. Diese wiederum haben ihrerseits aber auch Herren (Ordinarien), und die wiederum müssen sehr darauf achten, was ein gewisser Herr in einem gewissen Universitätsspital will oder vermeintlich will. Wir lernen: Es kommt nicht nur darauf an, was man schreibt, sondern auch darauf, wer es schreibt und wer der Chef ist.
Lektion 2: Es gibt ein gut einstudiertes Feindbild: Diverse medizinische Fachrichtungen unter Führung von Orthopäden und Anästhesisten haben sich dazu verschworen, die Arbeit der Chirurgen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu torpedieren. Dabei müssten sie doch froh sein, dass Chirurgen ihnen, da sie ja nur über stümperhaftes Halbwissen verfügen, immer wieder den Allerwertesten retten.
Lektion 3: Arbeit ist Präzision und Präzision ist Arbeit.
Zieht ein Maurer sein Werk nicht ganz lotrecht in die Höhe, kann er darauf spekulieren, dass es niemand merkt. Zur Not kann er die Mauer noch mal bauen. Arbeiten Chirurgen nicht mit einem Höchstmass an Genauigkeit, kann das für den Patienten unschöne Folgen haben. Deswegen haben Chirurgen eine Arbeitsmoral, wie ich sie noch bei keinem anderen Berufsstand erlebt habe. Das mag auf Aussenstehende manchmal etwas streng wirken, liegt man aber unter ihrem Messer, kann man sich über diese eiserne Disziplin nur freuen.
Nach 20 Jahren Arbeit mit und für Chirurgen habe ich viel gelernt und so Einiges verstanden:
Lektion 1: Begriffe wie Anastomose oder Zytokine gehen mir flüssig über die Lippen.
Lektion 2: Beharrungsvermögen lohnt sich.
Lektion 3: Vor allem aber: Auch Chirurgen sind nur Menschen.
Es ist immer wieder eine Freude, dem schier nicht enden wollenden Palaver zu lauschen, das entsteht, wenn zwei oder mehr Chirurgen vor und nach unseren Redaktionssitzungen Flurfunk betreiben und die Gerüchteküche am Kochen halten. Und aus privaten Begegnungen weiss ich: Es gibt sogar für Chirurgen ein Leben ausserhalb der Chirurgie. Und mit Wein.
Felix Ruhl, lange nur Redaktor, bald Content Manager
P.S.: 20 Jahre lang haben wir swiss knife kleingeschrieben. Das digitale swiss knife werden wir so schreiben: SWISS/KNIFE. Das Journal ist also gross und zur etablierten Marke geworden. Vielen Dank an alle, die dazu beigetragen haben.