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Focus

«Die HSM braucht eine Re- und De-Novo-Entry-Regelung.»

Gemäss den allgemeinen Bestimmungen der interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM) vom März 2008 vereinbarten die Kantone der Schweiz im Interesse einer qualitativ hochstehenden, bedarfsgerechten und wirtschaftlich erbrachten medizinischen Versorgung die Sicherstellung und Koordination sowie die Konzentration der hochspezialisierten Medizin (HSM).

Dabei umfasst die HSM diejenigen medizinischen Leistungen, die durch komplexe Behandlungsverfahren, ein hohes Innovationspotenzial sowie durch einen hohen personellen und technischen Aufwand gekennzeichnet sind, wobei immer das Kriterium der Seltenheit der Behandlungsmethode vorliegen muss.

Das wesentliche Ziel der IVHSM ist also eine hohe Behandlungsqualität und bedarfsgerechte Versorgung bei typischerweise geringem Aufkommen von Behandlungsfällen im jeweiligen Gebiet der HSM. Da die Korrelation von Fallzahl, Qualität und sogar Mortalität für zahlreiche medizinische und insbesondere chirurgische Behandlungen bewiesen ist, ist es naheliegend und sinnvoll, dass für seltene Behandlungsmethoden bzw. chirurgische Eingriffe eine Konzentration bzw. Zentralisierung über die Kantonsgrenzen hinaus im Sinne der IVHSM gefordert wird.

Anpassungen sind essenziell

Die Schwierigkeit ergibt sich bei der Umsetzung des an und für sich einleuchtenden Konzepts der IVHSM. Dabei ergeben sich die Fragen, welche medizinische Leistungen auf die HSM-Liste genommen werden und wer die Leistung erbringen soll. Bei beiden Themen liegt es auf der Hand, dass sie einer Dynamik unterliegen. Einst häufige und einfache Behandlungsmethoden können seltener und/oder komplexer werden, z.B. durch konkurrierende Behandlungsalternativen (Medikamente, interventionelle Verfahren etc.) oder technische Innovationen (minimal-invasive Verfahren, perioperative Technisierung etc.). Daher muss die HSM-Liste kontinuierlich überprüft und angepasst werden, so wie es in der Vereinbarung der IVHSM vorgesehen ist.

Das Gleiche gilt allerdings auch für die Seite der Leistungserbringer bzw. die Zuteilung der Leistungsaufträge, allem voran, weil die Leistungserbringer nicht minder dem Risiko einer potenziellen Veränderung ausgesetzt sind. Insbesondere Veränderungen der Personalstruktur können zum Wegbrechen notwendiger Expertise führen, aber auch die Weiterentwicklung und die zunehmende Komplexität der Behandlungsstandards können bei stabiler Personalsituation durch Veraltung der Behandlungsmethoden zu einer relativen Qualitätseinbusse führen. Dasselbe gilt für die Infrastruktur und den Stand innovativer Technologien.

Beispiel Bierkartell

Eine stabile oder sogar defensive (wer den Leistungsauftrag einmal verloren hat oder ihn gar nie hatte, bekommt keinen mehr) Zuteilung der Leistungsaufträge ohne ein nötiges Mass an Kompetition führt unter den genannten Umständen über kurz oder lang zu einer schleichenden Qualitätseinbusse. Dies gilt insbesondere, wenn sich nur noch sehr wenige Behandlungszentren in gegenseitiger Absprache einer Behandlungsmethode annehmen. Letzteres käme faktisch einem Kartell gleich mit allen Konsequenzen wie Qualitätseinbusse, Innovationsfeindlichkeit, Abschottung gegen Alternativen und sogar Preisdiktat. Eine plastische Vorstellung davon bekommen wir, wenn wir uns an die Zeiten des Bierkartells in der Schweiz vor der Einführung des Kartellverbots erinnern. Und am besten ersichtlich wird der potenzielle Missstand in der Vorstellung des Extremfalls eines Behandlungsmonopols eines nur noch einzigen Anbieters einer Behandlungsmethode, dem die Patient:innen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Es ist einfach nachvollziehbar, dass unter solchen Bedingungen die ursprünglich durch eine gewisse Zentralisierung erlangte Qualitätsoptimierung durch mangelnde Kompetition und mangelnden Innovationsdruck eliminiert wird.

Um, wie in der IVHSM vorgesehen, die Behandlungsqualität möglich hoch zu halten und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, aber auch um eine möglichst wirtschaftliche medizinische Versorgung zu gewährleisten, braucht die HSM deshalb dringend eine Re- und De-Novo-Entry-Regulierung. Entsprechend ist bei der Definition der Aufgaben des HSM-Fachorgans in der Vereinbarung der IVHSM vom März 2013 vorgegeben, dass das Fachorgan lediglich die Voraussetzungen festlegt, welche zur Ausführung einer HSM-Dienstleistung erfüllt werden müssen – unabhängig davon, ob ein Zentrum den Leistungsauftrag hat, verloren hat oder gar jemals hatte. Ein im November 2024 erstelltes Gutachten zuhanden der Gesundheitsdirektorenkonferenz kommt ausserdem zur deutlichen Empfehlung, dass Spitäler ohne HSM-Leistungsauftrag neu einen Leistungsauftrag erhalten können sollen und dass zu diesem Zweck lediglich eine Auflage zur Erreichung der Mindestfallzahl innerhalb von zwei bis drei Jahren gemacht, nicht aber die Erfüllung der Mindestfallzahl in den vergangenen Jahren gefordert werden soll. Voraussetzung ist allerdings, dass eine solche Auflage nur gemacht wird, wenn die anderen klar definierten und für alle (auch etablierte Zentren) geltenden Zuteilungskriterien erfüllt sind und das Potenzial zur Erreichung der Mindestfallzahl vorhanden ist. Damit gibt es ein klares Statement, dass ein Re- und De-Novo-Entry innerhalb der IVHSM möglich sein muss.

Gegen ein Re- und De-Novo-Entry wird regelmässig ins Feld geführt, dass es schon zu viele HSM-Anbieter gibt und dass es nottut, diese im Sinne der Zentralisierung zu reduzieren. Ausserdem wird befürchtet, dass durch die Ermöglichung eines Re- und De-Novo-Entrys ein unkontrollierbarer Wildwuchs entsteht, der wiederum die Qualität der HSM kompromittiert. Allem voran sind diesen Befürchtungen die obigen Ausführungen bezüglich Qualitätsfeindlichkeit eines Kartells oder gar Monopols entgegenzuhalten. Darüber hinaus ist ein unkontrollierbarer Wildwuchs durch eine eindeutige Definition anspruchsvoller Zuteilungskriterien, die für alle (auch die etablierten Zentren) gelten, zu erreichen. Sollte es dann immer noch zu viele qualifizierende Bewerber geben, kann durch die Festlegung der maximalen Anzahl an Behandlungszentren (pro Versorgungsregion und HSM-Bereich) limitiert werden. Und innerhalb dieser Vorgaben wäre dann die Auswahl der besten Behandlungszentren durch unabhängige, am besten sogar internationale Gutachter – analog zur Zertifizierung der Deutschen Krebsgesellschaft – möglich. Auf diese Weise wäre kontinuierlich und iterativ über die Jahre hinweg die höchstmögliche Behandlungsqualität und Versorgungssicherheit sowie eine wirtschaftliche medizinische Versorgung der PatientInnen der Schweiz mit HSM im Sinne der IVHSM zu erreichen.

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